Kinder und Jugendlichen wird heute starke Ich-Bezogenheit und in zunehmenden
Maße Aggressivität nachgesagt. ( Vergl. Portmann, Spiele, München,1999, S.5 )
Entsprechend der Veränderung ihrer Sozialisationsbedingungen durch das
Kleinerwerden der Familien und die Brüchigkeit menschlicher Bindungen sind ihre
Möglichkeiten, soziale Erfahrungen zu machen, kleiner geworden.
Vielen fällt es schwer, positive Kontakte zu anderen aufzunehmen, sich in eine
Gruppe einzufügen, aufeinander einzugehen, sich zurückzunehmen und Konflikte
konstruktiv auszutragen. Klagen über Aggressivität von Kinder und Jugendlichen
und die Schwierigkeit , mit ihnen fertig zu werden, sind im übrigen nicht so
neu, wie viele Situationsschilderungen glauben machen wollen.
Aggressives Verhalten von Kindern und Jugendlichen wurde auch schon zu früheren
Zeiten als das am meisten störende und am schwersten zu beeinflussende Verhalten
beschrieben. Um so erstaunlicher ist, daß die pädagogischen Bemühungen, die
Entwicklung von Methoden und Maßnahmen, zu den anhaltenden Klagen in keinem
Verhältnis stehe.
Die pädagogischen Möglichkeiten werden oftmals nicht genutzt.
Die Erziehung der Gefühle und das kreative Umgehen mit ihnen spielt meist keine
Rolle.
Fertigkeiten, die Kinder und Jugendliche erwerben müssen, um ihre wütenden und
aggressiven Impulse beherrschen zu lernen und befriedigende Beziehungen zu
anderen aufnehmen zu können, werden nicht eingeübt.
Die Fähigkeit und Bereitschaft, konstruktives, friedfertiges
Konfliktlösungsverhalten zu praktizieren, werden eher selten vermittelt.
Kindern und Jugendlichen wird meist nur nahegelegt „sich zu vertragen“.
Pädagogisches Handeln ist stark auf Harmonisierung angelegt, bei der es eher um
das Vermeiden von Konflikten als um ein ernsthaftes Sich-Einlassen auf Probleme
geht.
Konflikte werden überwiegend auf konventionelle Art und Weise, durch Suche nach
den Schuldigen und Zurechtweisungen bearbeitet.
Die Umwelt reagiert auf aggressives Verhalten mit Bestrafung, Vergeltung und
sozialer Ablehnung.
Dies wird von den Betroffenen als zusätzliche Bedrohung erlebt und führt nicht
zu Verminderung innerer Wut und Aggressivität, sondern setzt neue Aggressionen
in Gang.
Hinzu komm, das der Begriff „Aggressivität“ in unserer Gesellschaft sehr
ambivalent besetzt ist.
In vielen Fällen wird Aggressivität belohnt: „richtige“ Jungen und Männer müssen
natürlich auch aggressiv und kämpferisch an die Dinge herangehen.
Jeder Sportreporter fordert von Fußballspielern mehr „Aggressivität“, wenn sie
zu verlieren drohen. ( Vergl.: Portmann, Spiel, München, 1999, S.6)
Nicht ohne Grund ist die unbeherrschte, körperlich verletzende
Auseinandersetzung hauptsächlich ein Problem von Jungen und männlichen
Jugendlichen.
Die bewußte, zielgerichtete pädagogische Auseinandersetzung mit Wut und
Aggressivität tut not.
Dabei kann es nicht darum gehen, Kindern und Jugendlichen Wut, Aggressivität
abzugewöhnen. Wut ist ein hochgespannter innerer Reizzustand, der immer wieder
auftreten wird und nicht hinuntergeschluckt werden darf.
Wer seine Gefühle ständig im Zaum hält, verliert seine Lebendigkeit und gibt
seiner Umgebung keine Chance zu reagieren .
Aggressivität ist nicht von vornherein dasselbe wie Gewalt. Auch wenn der
Begriff im allgemeinen gleich besetzt wird mit absichtlicher Zerstörung oder dem
Zufügen physischer und psychischer Schmerzen, bedeutet Aggression im Wortsinn
„Herangehen“, „Angreifen“ im Sinne von Berühren und beschreibt - nicht nur
negative - Antriebsenergie .
Wer gut miteinander auskommen will, muß lernen, sich zu streiten!
Ununterbrochene Harmonie würde das Leben langweilig und unerträglich machen.
Unterschiedliche Meinung und Interessen machen es reizvoll. ( Vergl.: R.
Portmann , Spiele, München, 1999, Seite 11 ff.)
Konflikte müssen ausgesprochen und ausgetragen werden - ohne gegenseitige
Verletzungen und sie können den Stoff bilden, mit dem das Kind und der
Jugendliche kreativ umzugehen lernt.
Oft fällt es Jugendliche schwer, ein weißes Blatt mit Farbe zu bemalen oder es
zu zerschneiden.
Anhand von „Punk - Musik“„ wird immer wieder deutlich, wie Wut und Aggression in
eine Form gebracht und quasi umgewandelt und abgeleitet werden kann (die ersten
Musiker dieser Musikrichtung benötigten dazu zwei bis drei Akkorde) .
Malen und Zeichnen hat sehr viel mit „Zerstörung“ zu tun. Eine „unschuldige
weiße Fläche“ wird der Wut und Ausdruckskraft der Malers geopfert. Ähnlich wie
beim zu formenden Ton, verändern die eingesetzten Kräfte (und die sie
hervorrufenden inneren Beweggründe) das Weiß des Untergrundes eines Blattes,
einer Leinwand z.B.: in eine farbige Fläche. Darüber hinaus kann das Erlebnis,
das ein bemaltes Blatt oder die Leinwand, wieder übermalt werden kann, zur
ästhetischen Erfahrung verhelfen, daß Verändertes, gar als „zerstörtes“
Empfundenes, wieder einer neuen Aufgabe zugeführt werden kann.
Hierin ist ein weites Betätigungsfeld für die Sozialarbeit/ Sozialpädagogik zu
sehen, nämlich Kinder und Jugendliche dabei zu begleiten, das entsprechende
Erfahrungen aus Natur und Gesellschaft, daß Wachsen, Verändern und Zerfall, zum
„Fluß der Dinge“ gehören, gemacht werden können und zu eigenen, neue Schöpfungen
geformt werden können.
Ein solches Begleiten der ästhetischen Erfahrungen und die Unterstützung zum
Gestalten eigener kreativen Schöpfungen setzt voraus, das die/der
Sozialpädagogin/ Sozialpädagoge in der Lage und durch eigene Erfahrungen
motiviert ist, auf die im Leben gestellten Fragen, eigene Lösungen zu suchen.
In diesem Sinne, weist die oft ironisch gemeinte Bezeichnung vom
„Lebenskünstler“ auf jemanden hin, der Menschen, Werte Haltungen und Erfahrungen
in einem immer wieder neuen, unverwechselbaren Sinnzusammenhang gestaltet kann
und dennoch auch in Wut, Schmerz, Tod und Trauer immer wieder eigene Wege gehen
kann.