3 Die Bedeutung von kreativen und künstlerischen Anregungen in Kinder- und Jugendeinrichtungen kommunaler und freier Träger

In dem zurückliegenden Abschnitt über die Geschichte der Kunsterziehung hierzulande sollte deutlich werden, daß die Impulse sich schöpferisch zu betätigen hauptsächlich in der Vorschul- und Schulzeit gegeben werden. In der jetzigen Schulpädagogik bereiten jedoch die wiederholten Stundenkürzungen der vergangenen Jahre unüberwindbare Schwierigkeiten. Einerseits wurden die Inhalte erweitert, andererseits stehen nur für einige Altersstufen und längst nicht an allen Schultypen, jene 2 Wochenstunden zur Verfügung, die früher die Regel waren. Immer wieder lassen Schulbehörden in entsprechenden Zeitschriften oder im Fernsehen über die kunstpädagogische Arbeit in den Schulen berichten. Diese Informationen scheinen jedoch nur als freundliches Aushängeschild für die heutige Schulsituation zu dienen, denn daß es sich bei der gegenwärtigen Kunstpädagogik im Vergleich zur früheren musischen Bildungsarbeit nur um Stückwerk handelt, wird verschwiegen.
Erfreulicher ist die Bilanz der außerschulischen kreativen und künstlerischen Angebote. In vielen Kindergärten erfüllt die kunstpädagogische Praxis eine wichtige Funktion. Was Kinder dort zeichnen, malen, plastisch formen oder herstellen, entspricht der kunstpädagogischen Zielsetzung.
Im Schulalter werden den Kindern und Jugendlichen außerhalb des Pflichtunterrichts zahlreiche Möglichkeiten zur bildnerischen Betätigung angeboten. So kann sich das Kind, bzw. der Jugendliche in von den Kommunen geförderten Jugendeinrichtungen in der Freizeit an Spiel-Aktions- und Kreativkurse beteiligen. (Vergleiche: K. Eid / M. Langer / H. Ruprecht, Paderborn, 2002, Seite 97 ff).

3.1 Über die ästhetische Erfahrung als Basis kindlicher Bildungsprozesse

Auf die Frage wann Bildung eigentlich beginnt, wird dies in unserer Bildungsvorstellung auf den schulischen Rahmen hingewiesen. Vorschulische Bildungsprozesse werden allenfalls ausnahmsweise mit diesem Begriff umschrieben, man spricht eher von Sozialisation, Enkultration oder Lernen. Mir scheint geeignet zu sein, hier ein Konzept zu vertreten, daß davon ausgeht, das grundlegende Erfahrungen und ihre Denkmöglichkeiten zu Beginn der menschlichen Erfahrung einsetzen.
Die Kinderforschung (G. Schäfer In: Ästhetik der Kinder, N.Neuß Hrsg, Frankfurt/ Main, 1999, S.22) der letzten zwei Jahrzehnte hat das Bild eines aktiven, aus eigener Initiative und eigenen Mitteln bildenden Kindes herausgearbeitet. So gesehen eignet sich schon das Neugeborene seine Um- und Mitwelt durch Möglichkeiten an, die ihm mit der Geburt zur Verfügung stehen.
Erste Erfahrungen differenzieren die Ausgangspunkte seiner Weltwahrnehmung und Verarbeitung. Daraus entwickelt sich verschiedenen Formen des Welt- und Selbstverständnisses, welche die Grundlage des kindlichen Bildungsprozesses ausmachen. Dabei nutzt das Kind die Mittel, die ihm seine Umwelt vorgibt, wie ein Bastler die Materialien, die ihm zur Hand sind, in seinem Sinn verwandelt.
Ausgangspunkt für die kindliche Erfahrung von der Welt und von sich selbst ist das, was das Kind wahrnimmt. Solange das Kind noch nicht Nutzen aus den Medien ziehen kann, ist es allein auf die Wahrnehmung und Deutung seiner konkreten Lebenserfahrung angewiesen, die den Ausgangspunkt seines persönlichen Wachstums bildet. Man muß demzufolge den kindlichen Wahrnehmungsprozessen mehr Aufmerksamkeit schenken.
Wahrnehmung ist ein breit angelegter innerer Verarbeitungsprozeß, an dem die Sinnesorgane, der Körper, Gefühle, Denken und Erinnern beteiligt sind.
Es gibt kein Wahrnehmen als einfaches Abbilden der Außenwelt. Wahrnehmen ist Wählen, handelndes Strukturieren, Bewerten, Erinnern und sachliches Denken in einem. Die Bildung der Vorstellungswelt und Phantasie beginnt damit, das Kinder in Bildern denken, Wahrnehmungen rufen Bilder hervor. Bilder fügen sich zu Geschichten. Wahrgenommenes und Imagination greifen ineinander. Dies passiert nicht willkürlich, sondern folgerichtig. Im Denken des Kindes geht es noch nicht um den Gegenstand als unabhängiges Objekt, sondern um die Sache in ihrer Beziehung zum Kind. Deshalb ist die Wahrnehmung des Kindes doppelbödig. Es sieht die Wirklichkeit ein wenig so, wie sie ist und es sieht sie ein wenig so, wie es ihm bedeutungsvoll erscheinen will. Diese Doppelbödigkeit artikuliert sich in seinen Phantasien. Sie sind Wahrnehmung der Wirklichkeit und der Ausdruck der persönlichen Bedeutung dieser Wahrnehmung zugleich. Trennen wir die Phantasie von den Wahrnehmungen der Wirklichkeit, weil wir glauben, eine objektive Weltsicht anbahnen und unterstützen zu müssen, dann nehmen wir den Dingen ihre persönlichen Bedeutungshintergründe.

Doch Kinder müssen die Wirklichkeit erst einmal in ihrer subjektiven Bedeutsamkeit erfahren, bevor sie von dieser subjektiven Dimension teilweise absehend die Bedeutung der Wirklichkeit als Wirklichkeit erfassen können und wollen. Wirklichkeit ist zunächst nicht als solche für das Kind wichtig, sondern ein Element, das in seiner engen Beziehung zu seinem subjektiven Leben und Erleben steht. Bevor z.B. Naturerfahrung nicht einen persönlichen, emotional bedeutsamen Wert darstellt, ist es nicht mehr als eine abstrakte, moralische Übung. Umwelterziehung setzt eine starke, gefühlsmäßige Beziehung zur natürlichen Umwelt voraus. Deren Grundlage sind die vielfältigen persönlichen Erfahrungen mit der Natur. Kinder suchen daher die Gelegenheit, ihre Welt - und Selbsterfahrungen mit der eigenen Phantasie zu verbinden, sie in erlebare Szenen zu betten, sie in persönlichen Träumen auszuweiten und mit diesen Erfahrungen zu spielen. Spielen, Phantasieren und Gestalten sind die Prozesse, in denen dieses Potential der persönlichen Bedeutung der Dinge ausgebreitet, ausprobiert und ausgearbeitet wird. Legt man Kinder frühzeitig auf ein sogenanntes, realistisches Bild von der Wirklichkeit fest, versagt man ihnen, ihren persönlichen Sinn mit dieser Wirklichkeit zu verknüpfen, von denen aus sie dann zu einer (ihnen eigenen) Ordnung der Dinge vordringen könnten. So wie die Zeichnung kleiner Kinder kein Abbild der Wirklichkeit sondern Protokoll einer persönlichen Erfahrung eines Stückes Realität sind, zeugen kindliche Wahrnehmungen der Wirklichkeit von einem subjektiven Erfahrungsprozeß, der sich u.a. in den imaginären und phantasievollen Anreicherung ihrer Wirklichkeitsvorstellung ausdrückt.
Deshalb brauchen Kinder aber auch eine umgebende häusliche , urbane und natürliche Wirklichkeit, die ihre Phantasien und Vorstellungen Nahrung gibt. Das scheint der tiefere Sinn einer kinderfreundlichen Umgebung zu sein. Phantasie und Kreativität die aus der lebendigen Erfahrung von Wirklichkeit hervorgeht, bereichern die Wirklichkeitserfahrung.

3.2 Zwei Kindertagesstätten in Chemnitz

Für meine Arbeit habe ich zwei Chemnitzer Kindertagesstätten daraufhin untersucht, welche Rolle kreatives Gestalten mit den Kindern in ihren Einrichtungen einnimmt. Beide Tagesstätten befinden sich auf den Kaßberg. Mit Kindern beider Einrichtungen arbeite ich kontinuierlich bzw. in verschiedenen Abständen in mit verschiedenen bildnerischen Techniken . Aus den gemeinsamen Kreativzeiten sind kleine Ausstellungen entstanden, eine u.a. im Chemnitzer Rathaus. (Siehe Anhang)

Kindergarten „Sonnenschein“
Der Träger dieser Einrichtung ist die Kindervereinigung e.V. In diesem Hause sind 9 Erzieher , eine Leiterin, eine Küchenfrau, ein Hausmeister und eine Waschfrau beschäftigt. Das Haus ist von Montag bis Freitag von 6.00 Uhr bis 17.00 Uhr geöffnet. In der Einrichtung ist für 100 Kinder Platz. Die Kinder kommen aus verschiedenen Schichten der Bevölkerung. Die Berufsstände der Eltern reichen von Anwälten bis zum Arbeitslosen. Unabhängig vom Berufstand, sind die Eltern gleichermaßen an der Entwicklung ihrer Kinder interessiert und unterstützen die Kindertagesstätte in unterschiedlichster Weise.
Der Wochenplan umfaßt viele musische und kunstpädagogische Angebote. Seit etwa einen Jahr gibt es eine spezielle Werkstatt für die Kinder. Meine Arbeit dort mit den Kindern ist zu einer festen Instanz geworden. Jeden Freitag gibt es eine Kunst - AG, die von den Kindern rege angenommen wir. Eine Aktivität ist besonders hervorzuheben: die „Opa - Werkstatt“. Hier arbeiten die Großväter mit ihren Enkeln an verschiedenen Objekten und weisen sie in dem Umgang mit verschiedenen Materialien und Werkzeugen ein. Die Philosophie der Einrichtung ist geprägt von dem Freilegen von Begabungen und Eignungen der Kinder und ihrem freien Agieren. (Siehe Anhang)

Kindergarten „ Spatzennest „
Dieser Kindergarten befindet sich ebenfalls in Chemnitz auf den Kaßberg. Er gehört zur Evangelischen Pauli - Kreuz - Gemeinde der Stadt. 10 Mitarbeiterinnen und 3 technische Kräfte kümmern sich um das Wohl der
1 bis 10 - jährigen (Hortbereich). Geöffnet ist das Spatzennest von Montag bis Freitag 6.30 Uhr bis 16.30 Uhr. Die Kapazität der Einrichtung liegt bei 87 Kindern. Die Eltern der Kinder sind aus allen Berufs- und Bildungsschichten: Studenten, Arbeiter , Selbständige und Anwälte.
Das Angebot an kreativen und pädagogischen Arbeiten mit den Kindern ist vielfältig . Die Schwerpunkte werden von der Leiterin der Einrichtung so beschrieben:
 musikalische Einheiten , wie Trommeln und Singen
 Spielzeugtage
 Vorbereiten von Kinderfesten
 Eltern - Kind - Zeiten

Das besondere ist die Einbindung des Kirchenjahres in den pädagogischen Alltag. Dabei werden die traditionellen Kirchenfeste, wie Ostern, Pfingsten und Weihnachten gemeinsam vorbereitet und teilweise in der Kirchgemeinde durchgeführt. Einige der Eltern sind Musiker und Künstler. Sie helfen bei der Gestaltung von gemeinsamen Feiern aktiv mit. Einmal im Monat ist ein „Spielzeug freier Tag“.
Nach den Aussagen der Leiterin beschränken sich die kreativen Ansätze nicht allein auf die oben genannten Angebote, sondern sollen als eine Lebensäußerung den Kindern nahe gebracht werden. Auch die Atmosphäre, die die Räume und die unmittelbare Umgebung ausstrahlen, sollen diesem Anliegen Rechnung tragen. (Siehe Anhang)

3.3 Kreativität und Phantasietätigkeit bei Jugendlichen

Wie im vorangegangenen Abschnitt, soll hier an Hand zweier Jugendfreizeitstätten aufgezeigt werden, welche kreativen Angebote für die Kinder und Jugendlichen bereitstehen und wie diese genutzt werden. Dabei zu einem zu Grunde gelegt werden, wie sich die Intelligenz in dieser Altersgruppe entwickelt und andererseits, beschäftigt uns die Frage: welche Umstände die Entwicklung der Kreativität behindern.

Es ist unbestreitbar, daß die entscheidenden Grundlagen für eine günstige Entwicklung in den ersten Lebensjahren gelegt werden und dies demzufolge auch für die Intelligenz gilt. Dennoch bringt gerade das Jugendalter auch hier entscheidende Veränderungen, die es nicht geraten sein lassen, von der These auszugehen, das ein etwa mit zehn Jahren als „ mäßig“ begabt eingestufter Mensch werde, kaum noch Anlaß geben werde, dieses Urteil zu revidieren. Das heißt, die Entwicklung der Intelligenz geht in bestimmten Stufen vor sich, die untereinander nicht austauschbar sind.
Natürlich kann es Verspätungen geben, aber grundsätzlich ist es jedem Menschen möglich, bei guter geistiger und psychischer Gesundheit und bei angemessener Anleitung auch die letzte Stufe der formallogischen, abstrahierenden Operationen zu betreten. Es gibt darum keinen Grund, im Lernen bisher nicht erfolgreiche Jugendliche aufzugeben.

Jugendliche, die als Kinder häufig getadelt wurden, sodaß sie kein stabiles Selbstkonzept entwickeln konnten, deren reiz- und alternativarme Umwelt ihnen besondere Anregung vorenthielt, die durch überforderte Eltern, partielle Mißerfolge u.a. unsicher gemacht wurden, sind nicht konstitiutiv „dumm“ sondern „behindert“! (Vergl.: D.Baacke, Die 13- bis 18 jährigen, Weinheim - Basel, 1994, S.116)
Auch ist inzwischen bekannt, in welch engem Zusammenhang Intelligenz und Motivation stehen, nämlich das diese (Intelligenz) jene (Motivation) ganz entscheidend fördert. Die Schule hält nicht genug Ermunterungen und motivierende Lernstimulie bereit. Die aktuelle Literatur hierzu spricht im Zusammenhang mit der Entwicklung von Intelligenz von “Primärfaktoren“, die auf die Grundstruktur der Intelligenz verweisen:
1. Komplexität - als die Fähigkeit, die Struktur eines Problems zu erkennen.
2. Plastizität - als die Fähigkeit, eine Problemsituation umstrukturieren zu können.
3. Globalisation - als das Einordnen von Problemen in eine Problemlösungseinheit.
4. Flüssigkeit -als die Fähigkeit, Aufmerksamkeit auf verschiedene Gegenstände zu verteilen und sie geistig zu verbinden. ( Vergl.: D.Baacke, Weinheim-Basel, 1994, S.119 ff.)
Desweiteren ist der Versuch von Psychologen, den Bereich der kognitiven Entwicklung von Motivation, Emotion, Persönlichkeitsmerkmalen zu unterscheiden sowie die einwirkenden Umweltfaktoren herauszufiltern, gescheitert. ( Vergl.: D.Baacke, Weinheim-Basel, 1994, S.122)
Kognitive Fähigkeiten werden weder durch biologische Reifung allein entwickelt, noch durch anspruchsvolle Gegenstände herausgefordert, sondern die Lernsituation ist das bestimmende Moment der Intelligenzentwicklung.
Zum Beispiel ist bekannt, daß Angst das Problemlösungsverhalten und damit die Leistungsbereitschaft stark beeinflußt.
Präsentation von Intelligenz gelingt vornehmlich denen, die ohnehin ein stabiles Selbstvertrauen und hinreichende Unterstützung und damit eine angemessene Durchsetzungsfähigkeit besitzen. Oft wird die Präsentation eher belohnt als die Intelligenzleistung.

Andererseits begünstigen Schulstreß und Leistungsdruck jene Angst, die Motivation und Problemlösungsverhalten beeinträchtigen. Kreativität gehört neben Intelligenz, Begabung und Chancengleichheit zu den Konzepten, an denen sich in der Vergangenheit hohe Erwartungen knüpften. Klug sein so schien es, reichte allein nicht mehr aus, Einfallsreichtum mußte dazukommen. Auch als Psychologen darauf hinwiesen , das die großen Genies unserer Zeit nur über eine günstige Kombination von Eigenschaften verfügten, die im Grunde jeder haben kann , schien diese außerordentliche Leistung nicht nur mehr wenigen erreichbar. Demnach soll Kreativität geeignet zu sein, das funktionelle Gleichmaß des Lebens zu bereichern, durch Ausübung origineller Hobbys und die Entwicklung von Liebhabereien in der Freizeit.

Für diese Arbeit, halte ich es für geeignet, Kreativität auch als ein Konzept zu bezeichnen. Kreativität als Disposition betrachtet bedeutet Flexibilität auf der Grundlage einer gut ausgebauten, zumindest primären Intelligenz.
Sieht man auf den kreativen Prozeß, sind Eigenschaften hervorzuheben wie Neugierverhalten und Kombinationsfähigkeit. Sieht man schließlich das kreative Produkt, so findet es Bewunderung wegen der Originalität und des Erfinderreichtum seines Schöpfers. Nach Guilford ( Guilford, Persönlichkeit, Weinheim, 1965) ist Kreativität zu verstehen als ein besonderer Typus der Intelligenz, nämlich als Fähigkeit, divergent denken zu können. Divergentes Denken als eine von fünf Arten intelligenter Leistung unterscheidet sich von konvergentem Denken (Problemlösen), Gedächtnis (memory), intellektueller Erkenntnisfähigkeit (cognition) und der Fähigkeit der Bewertung (evaluation) dadurch, daß es bisher nicht vorbereitete , also „ abweichende“, Lösungen erschließt oder in der Lage ist, assoziative Brücken zwischen offenbar nicht zusammenhängenden Elementen zu bauen.
Kreativität ist also eine bestimmte Dimension der Intelligenz, die aber sozusagen offene Ränder hat. Einfallsreichtum und Produktivität, die zur Kreativität gehören, setzen zwar eine gut entwickelte Intelligenz voraus, ohne jedoch die gesamten Eigenschaften zu beanspruchen.
Wer gelernt hat, strikt logisch zu schlußfolgern, kann hohe Denkleistungen erbringen ohne jedoch kreativ zu sein. Dazu gehört Mut zum „intellektuellem“ Risiko, etwa die Bereitschaft scheinbar ganz absurden Ideen nachzugehen. Hinzu kommt das soziale Risiko, weil das Vertreten ungewöhnlicher Ansichten oder die Entwicklung ungewohnter Lösungen meistens Widerstand provoziert.
Ein mögliches Kriterium der Bewertung kreativer Arbeit könnte demnach sein: je interessanter, abweichender und überraschender sie ist, desto mehr Kreativität hatte sein Schöpfer. Die Persönlichkeitsstrucktur des Kreativen ist von Gegensätzen zwischen Impulsivität und Reflexionsfähigkeit bestimmt. Kreative Jugendliche haben mehr Freiheitsdrang und niedrige Kontrollorientierung aufzuweisen. Weitere Kennzeichen von Kreativen sind:
 ihr Erkenntnisdrang
 ihr Hang zum Ungewöhnlichen
 und ihr hoher Anspruch an die eigene Leistung und die von der Umwelt gebotenen Möglichkeiten.
Während konvergentes Denken meist nüchtern und stetig überprüfbar abläuft und das Ergebnis aus den vorhandenen Stoff entfaltet wird, ist der Prozeß kreativen Denkens weder durch die Substanz eines verläßlichen, in sich geschlossenen Gegenstandes, noch daraus folgend mit einem konsequenten Voranschreiten erreichbaren Resultats verbunden. Man hat dann dem kreativen Prozeß besondere Aufmerksamkeit geschenkt und versucht unterschiedliche Stufen festzustellen:
1. Problemempfindung
2. Einstellen auf die Aufgabe ( Präperation)
3. erste Schwierigkeiten, vorübergehende Entmutigung ( Frustration )
4. Ideegeschiebe ( Inkubation)
5. „der zündende Blitz“„ (Illumination)
6. Ausarbeitung des Problems ( Verifikation )
7. Kommunikation ( Golann, In.: D.Baacke, Die 13- bis 18-jährigen, Weinheim-Basel, 1994, S. 126)
Dies sind die am häufigsten genannten Stufen. Kreative Jugendliche sind, daher keineswegs wild, zuchtlos und radikal spontan. Neben einer hohen Unabhängigkeit in der Benutzung von Denkmethoden und der Urteilsbildung spielt gerade die Fähigkeit, Selbstdisziplin zu üben, eine bedeutende Rolle. Zudem scheint es oft eine unterschiedliche Motivdynamik für Intelligente und Kreative zu geben. Kreativität arbeitet mehr „ produktorientiert“, während bei hoher Intelligenz ohne die kreativen Komponente, das Moment der sozialen Anerkennung und Konformität als Leistungsantrieb im Vordergrund steht.
Dem entspricht, das Jugendliche mit hohem Intelligenzquotzienten Eltern haben, die an schulischen Leistungen sehr interessiert sind, während die Eltern kreativer Jugendlicher mehr die Offenheit für Erfahrungen und die individuelle Zielsetzung und Wertvorstellung ihrer Kinder unterstützen.

(Vergl.: D.Baacke, Weinheim-Basel, 1994, S.126)
Gerade die letzte Überlegung führt zu dem wichtigen Fazit der Kreativität:
Die konventionelle Schule ist eher in der Lage hohe Intelligenz zu fördern, aber nicht kreatives Verhalten.
Obwohl keine Untersuchungen vorliegen, liegt es nahe, daß oben genannte, konventionelle Schulen Kreativität eher behindern. Darüber hinaus ist zu fragen, ob das bisherige Konzept für Kreativität dringend der Erweiterung bedarf.

Eine für diese Arbeit nicht unbedeutende Frage ist auch, ob Kreativität an eine bestimmte soziale Schicht gebunden ist. Wenn Kreativität nur an eine an sich schon hohe Intelligenz gebunden wäre, dann würde sie in der Arbeit, (z.B.) mit Kindern und Jugendlichen aus Multiproblemfamilien keine Rolle spielen .
Die hierzu recherchierte Literatur zeigt etwas anderes dazu auf.
Cronbach (In.: D.Baacke, Weinheim - Basel, 1994, S.128) fand heraus, daß man alle bei Kindern beobachteten Verhaltensweisen an zwei Faktoren binden kann. Entweder wurden sie bestimmt durch „konventionelle Intelligenz“ (A- Faktor nach: Achievement- Leistung) oder sie waren gekennzeichnet durch Flexibilität und Flüssigkeit, daß heißt, diese Kinder waren in der Lage, Aufgaben zu lösen, die unterschiedliche Reaktionen auf einen einzigen Stimulus forderten. Diese Gruppe nannte er „high-F-Children“ (F für Flexibilität) . Sie assoziierten reichhaltiger, auch ungewöhnlich, wenn sie dazu ermuntert wurden.
Daraufhin ordnete Mc Candless dies auf seine Beschreibung zweier unterschiedlicher Lebensstile zu, die er „apollinisch“ und „dionysisch“ nannte. Während der A - Faktor kennzeichnend ist für den apollinischen Lebensstil, so ist der F - Faktor dies für den dionysischen Lebensstil. Der letztere (dionysische Lebensstil) erlaubt eine größere Impulsivität. Diese Überlegung legt nahe, Kreativität gerade auch Jugendlichen aus unteren sozialen Schichten zuzusprechen. Denn deren Lebewelt ist dionysisch gekennzeichnet - und zwar keineswegs nur kritisch! So falsch es wäre einen Zusammenhang zu konstruieren: hohe Kreativität = hoher F- Faktor; dionysischer Lebensstil = Angehörige unterer sozialer Schichten, so nahe liegt doch die Frage, in wieweit „ Kreativität“ nicht überhaupt von den meisten traditionell geordneten Intelligenzkonzepten ablösbar sein müsse.
Spontanität, Impulsivität gegenüber anderen, Interesse für nachbarschaftliche Beziehungen, Entprivatisierung der Lebensbezüge, größere unmittelbare , sozialbezogene Beweglichkeit, statt individuiertes Leitungsstreben - das könnten Eigenschaften sein, die „kreativ“ zunennen wären.
Eine Verfolgung solcher Überlegung hätte zum Vorteil, das das Konzept Kreativität von den Standards, die sich an die Mittelschicht orientieren, gelöst würde und selbst alternative Interpretationsmöglichkeiten aufdeckte. Erst dann wäre das Konzept kreativ.
 

Tatsächlich gibt es Versuche, Kreativität nicht nur meßanalytisch einzusetzten, sondern auch kreativ entwerfend. Oskar Negt und Alexander Kluge (Negt, Kluge In.:D.Baacke, Weinheim-Basel,1994 S.129) sprechen nicht von Kreativität, sondern von Phantasietätigkeit. „Phantasie“ unterscheidet sich von Kreativität vor allem darin, daß sie nicht meßbar ist , weil eine Produktivkraft gemeint ist, die grundsätzlich jedem eigen ist. Sie hat die Aufgabe, die Entfremdung und Vereinzelung, die Außenlenkung durch Programmindustrien und die Ritualisierung eines glücklosen Alltages als eine emanzipatorische Bewußtseinsform durch Entwicklung alternativer Vorstellungsbilder zu widerrufen.
Wenn dem so ist, das der Alltag der meisten Menschen aus beschädigten Situationen bestünde, also solchen die keinen Selbstausdruck ohne Verstellung erlauben und der Lebenszusammenhalt jedes einzelnen „zerstückelt“ wäre, hätte das zur Folge , das Phantasie oft als „ Wirrwarr“ erscheint, als eine Kraft, die die verzerrte Gegenständlichkeit der Realität mitreproduziert, statt sie zu kritisieren.
Dennoch ist es aber auch denkbar, das Phantasie widerständige Kraft entwickeln könnte, wenn sie sich auf eine konkrete Situation bezieht. In Wahrheit ist die Phantasie ein spezifisches Produktionsmittel, das für einen Arbeitsgang gebraucht wird, den das kapitalistische Verwertungsinteresse nicht ins Auge fast, nämlich die Veränderung der Beziehungen untereinander , zur Natur und die Wiederaneignung der in der Geschichte eingebundenen „toten“ Arbeit des Menschen. Die Phantasie, so könnte man sagen ist der Organisator der Vermittlung, also der besondere Arbeitsprozeß, über der sich Triebstruktur, Bewußtsein und Außenwelt mit einander verbinden lassen.
Es gibt jedoch noch keine Pläne, wie Phantasietätigkeit zu fördern sei. Ein Programm hierzu leuchtet unmittelbar ein.
Gerade für Jugendliche, die die Fähigkeit zur Abstraktion erwerben, ist eine ergänzende und kontrollierende Rückbindung an nicht nur gedachte Kontexte und Lebensformen sinnvoll.
Jugendliche haben am ehesten die Chance, ihre Argumentationsgerüste mit sozialer Phantasie auszukleiden, denn sie sind nicht der total nüchternen, zweckrationalen Wahrnehmung sozialer Rollen unterworfen.
Jugend ist insgesamt ein Status der für Abweichungen offen ist. Ob diese (Abweichungen) zur Bedrohung wird, hängt davon ab, wie sie gesellschaftlich definiert werden und von der Chance wie im Rahmen vertrauensvoller Beziehungen, Angst abgebaut werden kann.
Deshalb kann es nicht allein darum gehen, Trainingsprogramme für Kreativität oder Intelligenz zu entwickeln, sondern auch die Interaktionstile der Erwachsenen (sowie Pädagogen) und der Jugendlichen insofern zu verbessern, daß es zu einer gegenseitigen Akzeptanz und einem Ernstnehmen der individuellen Besonderheit kommt.(Vergl.: D.Baacke; Die 13 -18 jährigen, Weinheim- Basel,1994, S.116 ff.)
In wieweit diese Arbeit in den außerschulischen Einrichtungen der Jugendarbeit geleistet werden kann und welche Bedingungen dafür nötig sind, soll an zwei Einrichtungen in der Stadt Chemnitz gezeigt werden.

3.4 Zwei Jugendfreizeitstätten in Chemnitz

Um dem Aspekt der außerschulischen kunstpädagogischen Anregungen nachzugehen zu können, habe ich zwei Jugendfreizeitstätten in Chemnitz besucht und mit den Mitarbeiterinnen und zum Teil mit den Jugendlichen gesprochen. Die konkreten Situationen werden im Anhang mit einem entsprechenden Gespräch und Fotoaufnahmen dokumentiert.


Jugendfreizeitstätte : Haus der Jugend:
Der Träger der Einrichtung „ Haus der Jugend“ ist die Stadt Chemnitz.
Dieses Jugendhaus befindet sich auf den Chemnitzer Kaßberg einen attraktiven Stadtteil mit einer guten Infrastruktur, Schulen, Gymnasien, Kirchen und verschiedenen Gemeinden und großzügig angelegten Spiel- und Bolzplätzen. In der Einrichtung arbeiten 2 Sozialarbeiterinnen. Geöffnet ist Montag bis Samstag, jeweils von 12 - 24 Uhr. Als ständige Besucher werden 250 Kinder und Jugendliche im Alter von 12 bis 24 Jahre gezählt. Sie kommen zumeist aus der mittleren Einkommensschicht und aus Multiproblemfamilien. Keramik ist zur Zeit das einzige kreative Angebot in der Einrichtung. Aus dem Gespräch mit einer Sozialpädagogin ließ sich entnehmen, daß dem kreativen Arbeiten mit den Jugendlichen großen Wert beigemessen wird. Sie selbst hatte auf Grund von bildnerischen Arbeiten mit den Jugendlichen in der Einrichtung eine Zusatzqualifikation zur Kunsttherapie abgeschlossen. Obwohl die Einrichtung und Ausstattung dieser Jugendfreizeitstätte gut geeignet ist, kreative Arbeiten zu fördern, fehlt aufgrund der knappen Besetzung zur Durchführung einer kontinuierlichen Arbeit die entsprechende Zeit.

Jugendfreizeitstätte „Substanz“„
Der Träger dieser Einrichtung ist das „Selbsthilfe-Wohnprojekt-
Furtherstraße“. Die Einrichtung befindet sich am Rande des Chemnitzer Stadtteils Sonnenberg in der Heinrich - Schütz - Straße . Dies ist ein Wohngebiet, das traditionell von Arbeiterfamilien und neuerdings auch von Studenten bewohnt ist.
Als „Feststellen“ arbeiten in diesem Jugendhaus „1 ½“ Mitarbeiter (Sozialpädagogen) darüber hinaus gibt es zwei ABM - Stellen und zwei ehrenamtliche Mitarbeiter.
Der Kreativraum des Hauses hat Dienstags und Mittwochs von 14.00 Uhr bis 20.00 Uhr geöffnet. Auf dem Gelände des Jugendhauses ist ein großer Abenteuerspielplatz mit einem Bauwagen und jede Menge Holz zum bauen. Für diesen Teil der pädagogischen Arbeit ist ein Mitarbeiter zuständig.
Das kreative Angebot wird von 15 Jugendlichen unregelmäßig genutzt. Der Raum, selbst ist gut ausgestattet, die vorwiegende Angebote sind hier: Malen, Zeichnen, Arbeit mit Ton, Seidemalerei, Batik und Arbeiten mit Holzmaterialien.
Die Jugendlichen von 13 bis 21 Jahren kommen aus unterschiedlichen Schichten sowie aus Multiproblemfamilien. Die vorwiegend jungen MitarbeiterInnen vertreten ein sehr offenes Konzept in der Arbeit mit den Jugendlichen, sie sollen sich wohl fühlen und es gibt in der kreativen Arbeit keine Vorgaben.
An einem Nachmittag arbeitete ich mit den einigen Jugendlichen mit einem einfachen Druckverfahren. Dabei zeigten sie sich neugierig und aktiv. Das Verhältnis zu den MitarbeiterInnen war locker und von gegenseitiger Wertschätzung geprägt.

 

>>zurück zur Startseite