In dem zurückliegenden Abschnitt über die Geschichte der Kunsterziehung
hierzulande sollte deutlich werden, daß die Impulse sich schöpferisch zu
betätigen hauptsächlich in der Vorschul- und Schulzeit gegeben werden. In der
jetzigen Schulpädagogik bereiten jedoch die wiederholten Stundenkürzungen der
vergangenen Jahre unüberwindbare Schwierigkeiten. Einerseits wurden die Inhalte
erweitert, andererseits stehen nur für einige Altersstufen und längst nicht an
allen Schultypen, jene 2 Wochenstunden zur Verfügung, die früher die Regel
waren. Immer wieder lassen Schulbehörden in entsprechenden Zeitschriften oder im
Fernsehen über die kunstpädagogische Arbeit in den Schulen berichten. Diese
Informationen scheinen jedoch nur als freundliches Aushängeschild für die
heutige Schulsituation zu dienen, denn daß es sich bei der gegenwärtigen
Kunstpädagogik im Vergleich zur früheren musischen Bildungsarbeit nur um
Stückwerk handelt, wird verschwiegen.
Erfreulicher ist die Bilanz der außerschulischen kreativen und künstlerischen
Angebote. In vielen Kindergärten erfüllt die kunstpädagogische Praxis eine
wichtige Funktion. Was Kinder dort zeichnen, malen, plastisch formen oder
herstellen, entspricht der kunstpädagogischen Zielsetzung.
Im Schulalter werden den Kindern und Jugendlichen außerhalb des
Pflichtunterrichts zahlreiche Möglichkeiten zur bildnerischen Betätigung
angeboten. So kann sich das Kind, bzw. der Jugendliche in von den Kommunen
geförderten Jugendeinrichtungen in der Freizeit an Spiel-Aktions- und
Kreativkurse beteiligen. (Vergleiche: K. Eid / M. Langer / H. Ruprecht,
Paderborn, 2002, Seite 97 ff).
Auf die Frage wann Bildung eigentlich beginnt, wird dies in unserer
Bildungsvorstellung auf den schulischen Rahmen hingewiesen. Vorschulische
Bildungsprozesse werden allenfalls ausnahmsweise mit diesem Begriff umschrieben,
man spricht eher von Sozialisation, Enkultration oder Lernen. Mir scheint
geeignet zu sein, hier ein Konzept zu vertreten, daß davon ausgeht, das
grundlegende Erfahrungen und ihre Denkmöglichkeiten zu Beginn der menschlichen
Erfahrung einsetzen.
Die Kinderforschung (G. Schäfer In: Ästhetik der Kinder, N.Neuß Hrsg, Frankfurt/
Main, 1999, S.22) der letzten zwei Jahrzehnte hat das Bild eines aktiven, aus
eigener Initiative und eigenen Mitteln bildenden Kindes herausgearbeitet. So
gesehen eignet sich schon das Neugeborene seine Um- und Mitwelt durch
Möglichkeiten an, die ihm mit der Geburt zur Verfügung stehen.
Erste Erfahrungen differenzieren die Ausgangspunkte seiner Weltwahrnehmung und
Verarbeitung. Daraus entwickelt sich verschiedenen Formen des Welt- und
Selbstverständnisses, welche die Grundlage des kindlichen Bildungsprozesses
ausmachen. Dabei nutzt das Kind die Mittel, die ihm seine Umwelt vorgibt, wie
ein Bastler die Materialien, die ihm zur Hand sind, in seinem Sinn verwandelt.
Ausgangspunkt für die kindliche Erfahrung von der Welt und von sich selbst ist
das, was das Kind wahrnimmt. Solange das Kind noch nicht Nutzen aus den Medien
ziehen kann, ist es allein auf die Wahrnehmung und Deutung seiner konkreten
Lebenserfahrung angewiesen, die den Ausgangspunkt seines persönlichen Wachstums
bildet. Man muß demzufolge den kindlichen Wahrnehmungsprozessen mehr
Aufmerksamkeit schenken.
Wahrnehmung ist ein breit angelegter innerer Verarbeitungsprozeß, an dem die
Sinnesorgane, der Körper, Gefühle, Denken und Erinnern beteiligt sind.
Es gibt kein Wahrnehmen als einfaches Abbilden der Außenwelt. Wahrnehmen ist
Wählen, handelndes Strukturieren, Bewerten, Erinnern und sachliches Denken in
einem. Die Bildung der Vorstellungswelt und Phantasie beginnt damit, das Kinder
in Bildern denken, Wahrnehmungen rufen Bilder hervor. Bilder fügen sich zu
Geschichten. Wahrgenommenes und Imagination greifen ineinander. Dies passiert
nicht willkürlich, sondern folgerichtig. Im Denken des Kindes geht es noch nicht
um den Gegenstand als unabhängiges Objekt, sondern um die Sache in ihrer
Beziehung zum Kind. Deshalb ist die Wahrnehmung des Kindes doppelbödig. Es sieht
die Wirklichkeit ein wenig so, wie sie ist und es sieht sie ein wenig so, wie es
ihm bedeutungsvoll erscheinen will. Diese Doppelbödigkeit artikuliert sich in
seinen Phantasien. Sie sind Wahrnehmung der Wirklichkeit und der Ausdruck der
persönlichen Bedeutung dieser Wahrnehmung zugleich. Trennen wir die Phantasie
von den Wahrnehmungen der Wirklichkeit, weil wir glauben, eine objektive
Weltsicht anbahnen und unterstützen zu müssen, dann nehmen wir den Dingen ihre
persönlichen Bedeutungshintergründe.
Doch Kinder müssen die Wirklichkeit erst einmal in ihrer subjektiven
Bedeutsamkeit erfahren, bevor sie von dieser subjektiven Dimension teilweise
absehend die Bedeutung der Wirklichkeit als Wirklichkeit erfassen können und
wollen. Wirklichkeit ist zunächst nicht als solche für das Kind wichtig, sondern
ein Element, das in seiner engen Beziehung zu seinem subjektiven Leben und
Erleben steht. Bevor z.B. Naturerfahrung nicht einen persönlichen, emotional
bedeutsamen Wert darstellt, ist es nicht mehr als eine abstrakte, moralische
Übung. Umwelterziehung setzt eine starke, gefühlsmäßige Beziehung zur
natürlichen Umwelt voraus. Deren Grundlage sind die vielfältigen persönlichen
Erfahrungen mit der Natur. Kinder suchen daher die Gelegenheit, ihre Welt - und
Selbsterfahrungen mit der eigenen Phantasie zu verbinden, sie in erlebare Szenen
zu betten, sie in persönlichen Träumen auszuweiten und mit diesen Erfahrungen zu
spielen. Spielen, Phantasieren und Gestalten sind die Prozesse, in denen dieses
Potential der persönlichen Bedeutung der Dinge ausgebreitet, ausprobiert und
ausgearbeitet wird. Legt man Kinder frühzeitig auf ein sogenanntes,
realistisches Bild von der Wirklichkeit fest, versagt man ihnen, ihren
persönlichen Sinn mit dieser Wirklichkeit zu verknüpfen, von denen aus sie dann
zu einer (ihnen eigenen) Ordnung der Dinge vordringen könnten. So wie die
Zeichnung kleiner Kinder kein Abbild der Wirklichkeit sondern Protokoll einer
persönlichen Erfahrung eines Stückes Realität sind, zeugen kindliche
Wahrnehmungen der Wirklichkeit von einem subjektiven Erfahrungsprozeß, der sich
u.a. in den imaginären und phantasievollen Anreicherung ihrer
Wirklichkeitsvorstellung ausdrückt.
Deshalb brauchen Kinder aber auch eine umgebende häusliche , urbane und
natürliche Wirklichkeit, die ihre Phantasien und Vorstellungen Nahrung gibt. Das
scheint der tiefere Sinn einer kinderfreundlichen Umgebung zu sein. Phantasie
und Kreativität die aus der lebendigen Erfahrung von Wirklichkeit hervorgeht,
bereichern die Wirklichkeitserfahrung.
Für meine Arbeit habe ich zwei Chemnitzer Kindertagesstätten daraufhin
untersucht, welche Rolle kreatives Gestalten mit den Kindern in ihren
Einrichtungen einnimmt. Beide Tagesstätten befinden sich auf den Kaßberg. Mit
Kindern beider Einrichtungen arbeite ich kontinuierlich bzw. in verschiedenen
Abständen in mit verschiedenen bildnerischen Techniken . Aus den gemeinsamen
Kreativzeiten sind kleine Ausstellungen entstanden, eine u.a. im Chemnitzer
Rathaus. (Siehe Anhang)
Kindergarten „Sonnenschein“
Der Träger dieser Einrichtung ist die Kindervereinigung e.V. In diesem Hause
sind 9 Erzieher , eine Leiterin, eine Küchenfrau, ein Hausmeister und eine
Waschfrau beschäftigt. Das Haus ist von Montag bis Freitag von 6.00 Uhr bis
17.00 Uhr geöffnet. In der Einrichtung ist für 100 Kinder Platz. Die Kinder
kommen aus verschiedenen Schichten der Bevölkerung. Die Berufsstände der Eltern
reichen von Anwälten bis zum Arbeitslosen. Unabhängig vom Berufstand, sind die
Eltern gleichermaßen an der Entwicklung ihrer Kinder interessiert und
unterstützen die Kindertagesstätte in unterschiedlichster Weise.
Der Wochenplan umfaßt viele musische und kunstpädagogische Angebote. Seit etwa
einen Jahr gibt es eine spezielle Werkstatt für die Kinder. Meine Arbeit dort
mit den Kindern ist zu einer festen Instanz geworden. Jeden Freitag gibt es eine
Kunst - AG, die von den Kindern rege angenommen wir. Eine Aktivität ist
besonders hervorzuheben: die „Opa - Werkstatt“. Hier arbeiten die Großväter mit
ihren Enkeln an verschiedenen Objekten und weisen sie in dem Umgang mit
verschiedenen Materialien und Werkzeugen ein. Die Philosophie der Einrichtung
ist geprägt von dem Freilegen von Begabungen und Eignungen der Kinder und ihrem
freien Agieren. (Siehe Anhang)
Kindergarten „ Spatzennest „
Dieser Kindergarten befindet sich ebenfalls in Chemnitz auf den Kaßberg. Er
gehört zur Evangelischen Pauli - Kreuz - Gemeinde der Stadt. 10 Mitarbeiterinnen
und 3 technische Kräfte kümmern sich um das Wohl der
1 bis 10 - jährigen (Hortbereich). Geöffnet ist das Spatzennest von Montag bis
Freitag 6.30 Uhr bis 16.30 Uhr. Die Kapazität der Einrichtung liegt bei 87
Kindern. Die Eltern der Kinder sind aus allen Berufs- und Bildungsschichten:
Studenten, Arbeiter , Selbständige und Anwälte.
Das Angebot an kreativen und pädagogischen Arbeiten mit den Kindern ist
vielfältig . Die Schwerpunkte werden von der Leiterin der Einrichtung so
beschrieben:
musikalische Einheiten , wie Trommeln und Singen
Spielzeugtage
Vorbereiten von Kinderfesten
Eltern - Kind - Zeiten
Das besondere ist die Einbindung des Kirchenjahres in den pädagogischen
Alltag. Dabei werden die traditionellen Kirchenfeste, wie Ostern, Pfingsten und
Weihnachten gemeinsam vorbereitet und teilweise in der Kirchgemeinde
durchgeführt. Einige der Eltern sind Musiker und Künstler. Sie helfen bei der
Gestaltung von gemeinsamen Feiern aktiv mit. Einmal im Monat ist ein „Spielzeug
freier Tag“.
Nach den Aussagen der Leiterin beschränken sich die kreativen Ansätze nicht
allein auf die oben genannten Angebote, sondern sollen als eine Lebensäußerung
den Kindern nahe gebracht werden. Auch die Atmosphäre, die die Räume und die
unmittelbare Umgebung ausstrahlen, sollen diesem Anliegen Rechnung tragen.
(Siehe Anhang)
Wie im vorangegangenen Abschnitt, soll hier an Hand zweier Jugendfreizeitstätten
aufgezeigt werden, welche kreativen Angebote für die Kinder und Jugendlichen
bereitstehen und wie diese genutzt werden. Dabei zu einem zu Grunde gelegt
werden, wie sich die Intelligenz in dieser Altersgruppe entwickelt und
andererseits, beschäftigt uns die Frage: welche Umstände die Entwicklung der
Kreativität behindern.
Es ist unbestreitbar, daß die entscheidenden Grundlagen für eine günstige
Entwicklung in den ersten Lebensjahren gelegt werden und dies demzufolge auch
für die Intelligenz gilt. Dennoch bringt gerade das Jugendalter auch hier
entscheidende Veränderungen, die es nicht geraten sein lassen, von der These
auszugehen, das ein etwa mit zehn Jahren als „ mäßig“ begabt eingestufter Mensch
werde, kaum noch Anlaß geben werde, dieses Urteil zu revidieren. Das heißt, die
Entwicklung der Intelligenz geht in bestimmten Stufen vor sich, die
untereinander nicht austauschbar sind.
Natürlich kann es Verspätungen geben, aber grundsätzlich ist es jedem Menschen
möglich, bei guter geistiger und psychischer Gesundheit und bei angemessener
Anleitung auch die letzte Stufe der formallogischen, abstrahierenden Operationen
zu betreten. Es gibt darum keinen Grund, im Lernen bisher nicht erfolgreiche
Jugendliche aufzugeben.
Jugendliche, die als Kinder häufig getadelt wurden, sodaß sie kein stabiles
Selbstkonzept entwickeln konnten, deren reiz- und alternativarme Umwelt ihnen
besondere Anregung vorenthielt, die durch überforderte Eltern, partielle
Mißerfolge u.a. unsicher gemacht wurden, sind nicht konstitiutiv „dumm“ sondern
„behindert“! (Vergl.: D.Baacke, Die 13- bis 18 jährigen, Weinheim - Basel, 1994,
S.116)
Auch ist inzwischen bekannt, in welch engem Zusammenhang Intelligenz und
Motivation stehen, nämlich das diese (Intelligenz) jene (Motivation) ganz
entscheidend fördert. Die Schule hält nicht genug Ermunterungen und motivierende
Lernstimulie bereit. Die aktuelle Literatur hierzu spricht im Zusammenhang mit
der Entwicklung von Intelligenz von “Primärfaktoren“, die auf die Grundstruktur
der Intelligenz verweisen:
1. Komplexität - als die Fähigkeit, die Struktur eines Problems zu erkennen.
2. Plastizität - als die Fähigkeit, eine Problemsituation umstrukturieren zu
können.
3. Globalisation - als das Einordnen von Problemen in eine
Problemlösungseinheit.
4. Flüssigkeit -als die Fähigkeit, Aufmerksamkeit auf verschiedene Gegenstände
zu verteilen und sie geistig zu verbinden. ( Vergl.: D.Baacke, Weinheim-Basel,
1994, S.119 ff.)
Desweiteren ist der Versuch von Psychologen, den Bereich der kognitiven
Entwicklung von Motivation, Emotion, Persönlichkeitsmerkmalen zu unterscheiden
sowie die einwirkenden Umweltfaktoren herauszufiltern, gescheitert. ( Vergl.:
D.Baacke, Weinheim-Basel, 1994, S.122)
Kognitive Fähigkeiten werden weder durch biologische Reifung allein entwickelt,
noch durch anspruchsvolle Gegenstände herausgefordert, sondern die Lernsituation
ist das bestimmende Moment der Intelligenzentwicklung.
Zum Beispiel ist bekannt, daß Angst das Problemlösungsverhalten und damit die
Leistungsbereitschaft stark beeinflußt.
Präsentation von Intelligenz gelingt vornehmlich denen, die ohnehin ein stabiles
Selbstvertrauen und hinreichende Unterstützung und damit eine angemessene
Durchsetzungsfähigkeit besitzen. Oft wird die Präsentation eher belohnt als die
Intelligenzleistung.
Andererseits begünstigen Schulstreß und Leistungsdruck jene Angst, die
Motivation und Problemlösungsverhalten beeinträchtigen. Kreativität gehört neben
Intelligenz, Begabung und Chancengleichheit zu den Konzepten, an denen sich in
der Vergangenheit hohe Erwartungen knüpften. Klug sein so schien es, reichte
allein nicht mehr aus, Einfallsreichtum mußte dazukommen. Auch als Psychologen
darauf hinwiesen , das die großen Genies unserer Zeit nur über eine günstige
Kombination von Eigenschaften verfügten, die im Grunde jeder haben kann , schien
diese außerordentliche Leistung nicht nur mehr wenigen erreichbar. Demnach soll
Kreativität geeignet zu sein, das funktionelle Gleichmaß des Lebens zu
bereichern, durch Ausübung origineller Hobbys und die Entwicklung von
Liebhabereien in der Freizeit.
Für diese Arbeit, halte ich es für geeignet, Kreativität auch als ein Konzept zu
bezeichnen. Kreativität als Disposition betrachtet bedeutet Flexibilität auf der
Grundlage einer gut ausgebauten, zumindest primären Intelligenz.
Sieht man auf den kreativen Prozeß, sind Eigenschaften hervorzuheben wie
Neugierverhalten und Kombinationsfähigkeit. Sieht man schließlich das kreative
Produkt, so findet es Bewunderung wegen der Originalität und des
Erfinderreichtum seines Schöpfers. Nach Guilford ( Guilford, Persönlichkeit,
Weinheim, 1965) ist Kreativität zu verstehen als ein besonderer Typus der
Intelligenz, nämlich als Fähigkeit, divergent denken zu können. Divergentes
Denken als eine von fünf Arten intelligenter Leistung unterscheidet sich von
konvergentem Denken (Problemlösen), Gedächtnis (memory), intellektueller
Erkenntnisfähigkeit (cognition) und der Fähigkeit der Bewertung (evaluation)
dadurch, daß es bisher nicht vorbereitete , also „ abweichende“, Lösungen
erschließt oder in der Lage ist, assoziative Brücken zwischen offenbar nicht
zusammenhängenden Elementen zu bauen.
Kreativität ist also eine bestimmte Dimension der Intelligenz, die aber
sozusagen offene Ränder hat. Einfallsreichtum und Produktivität, die zur
Kreativität gehören, setzen zwar eine gut entwickelte Intelligenz voraus, ohne
jedoch die gesamten Eigenschaften zu beanspruchen.
Wer gelernt hat, strikt logisch zu schlußfolgern, kann hohe Denkleistungen
erbringen ohne jedoch kreativ zu sein. Dazu gehört Mut zum „intellektuellem“
Risiko, etwa die Bereitschaft scheinbar ganz absurden Ideen nachzugehen. Hinzu
kommt das soziale Risiko, weil das Vertreten ungewöhnlicher Ansichten oder die
Entwicklung ungewohnter Lösungen meistens Widerstand provoziert.
Ein mögliches Kriterium der Bewertung kreativer Arbeit könnte demnach sein: je
interessanter, abweichender und überraschender sie ist, desto mehr Kreativität
hatte sein Schöpfer. Die Persönlichkeitsstrucktur des Kreativen ist von
Gegensätzen zwischen Impulsivität und Reflexionsfähigkeit bestimmt. Kreative
Jugendliche haben mehr Freiheitsdrang und niedrige Kontrollorientierung
aufzuweisen. Weitere Kennzeichen von Kreativen sind:
ihr Erkenntnisdrang
ihr Hang zum Ungewöhnlichen
und ihr hoher Anspruch an die eigene Leistung und die von der Umwelt gebotenen
Möglichkeiten.
Während konvergentes Denken meist nüchtern und stetig überprüfbar abläuft und
das Ergebnis aus den vorhandenen Stoff entfaltet wird, ist der Prozeß kreativen
Denkens weder durch die Substanz eines verläßlichen, in sich geschlossenen
Gegenstandes, noch daraus folgend mit einem konsequenten Voranschreiten
erreichbaren Resultats verbunden. Man hat dann dem kreativen Prozeß besondere
Aufmerksamkeit geschenkt und versucht unterschiedliche Stufen festzustellen:
1. Problemempfindung
2. Einstellen auf die Aufgabe ( Präperation)
3. erste Schwierigkeiten, vorübergehende Entmutigung ( Frustration )
4. Ideegeschiebe ( Inkubation)
5. „der zündende Blitz“„ (Illumination)
6. Ausarbeitung des Problems ( Verifikation )
7. Kommunikation ( Golann, In.: D.Baacke, Die 13- bis 18-jährigen,
Weinheim-Basel, 1994, S. 126)
Dies sind die am häufigsten genannten Stufen. Kreative Jugendliche sind, daher
keineswegs wild, zuchtlos und radikal spontan. Neben einer hohen Unabhängigkeit
in der Benutzung von Denkmethoden und der Urteilsbildung spielt gerade die
Fähigkeit, Selbstdisziplin zu üben, eine bedeutende Rolle. Zudem scheint es oft
eine unterschiedliche Motivdynamik für Intelligente und Kreative zu geben.
Kreativität arbeitet mehr „ produktorientiert“, während bei hoher Intelligenz
ohne die kreativen Komponente, das Moment der sozialen Anerkennung und
Konformität als Leistungsantrieb im Vordergrund steht.
Dem entspricht, das Jugendliche mit hohem Intelligenzquotzienten Eltern haben,
die an schulischen Leistungen sehr interessiert sind, während die Eltern
kreativer Jugendlicher mehr die Offenheit für Erfahrungen und die individuelle
Zielsetzung und Wertvorstellung ihrer Kinder unterstützen.
(Vergl.: D.Baacke, Weinheim-Basel, 1994, S.126)
Gerade die letzte Überlegung führt zu dem wichtigen Fazit der Kreativität:
Die konventionelle Schule ist eher in der Lage hohe Intelligenz zu fördern, aber
nicht kreatives Verhalten.
Obwohl keine Untersuchungen vorliegen, liegt es nahe, daß oben genannte,
konventionelle Schulen Kreativität eher behindern. Darüber hinaus ist zu fragen,
ob das bisherige Konzept für Kreativität dringend der Erweiterung bedarf.
Eine für diese Arbeit nicht unbedeutende Frage ist auch, ob Kreativität an eine
bestimmte soziale Schicht gebunden ist. Wenn Kreativität nur an eine an sich
schon hohe Intelligenz gebunden wäre, dann würde sie in der Arbeit, (z.B.) mit
Kindern und Jugendlichen aus Multiproblemfamilien keine Rolle spielen .
Die hierzu recherchierte Literatur zeigt etwas anderes dazu auf.
Cronbach (In.: D.Baacke, Weinheim - Basel, 1994, S.128) fand heraus, daß man
alle bei Kindern beobachteten Verhaltensweisen an zwei Faktoren binden kann.
Entweder wurden sie bestimmt durch „konventionelle Intelligenz“ (A- Faktor nach:
Achievement- Leistung) oder sie waren gekennzeichnet durch Flexibilität und
Flüssigkeit, daß heißt, diese Kinder waren in der Lage, Aufgaben zu lösen, die
unterschiedliche Reaktionen auf einen einzigen Stimulus forderten. Diese Gruppe
nannte er „high-F-Children“ (F für Flexibilität) . Sie assoziierten
reichhaltiger, auch ungewöhnlich, wenn sie dazu ermuntert wurden.
Daraufhin ordnete Mc Candless dies auf seine Beschreibung zweier
unterschiedlicher Lebensstile zu, die er „apollinisch“ und „dionysisch“ nannte.
Während der A - Faktor kennzeichnend ist für den apollinischen Lebensstil, so
ist der F - Faktor dies für den dionysischen Lebensstil. Der letztere
(dionysische Lebensstil) erlaubt eine größere Impulsivität. Diese Überlegung
legt nahe, Kreativität gerade auch Jugendlichen aus unteren sozialen Schichten
zuzusprechen. Denn deren Lebewelt ist dionysisch gekennzeichnet - und zwar
keineswegs nur kritisch! So falsch es wäre einen Zusammenhang zu konstruieren:
hohe Kreativität = hoher F- Faktor; dionysischer Lebensstil = Angehörige unterer
sozialer Schichten, so nahe liegt doch die Frage, in wieweit „ Kreativität“
nicht überhaupt von den meisten traditionell geordneten Intelligenzkonzepten
ablösbar sein müsse.
Spontanität, Impulsivität gegenüber anderen, Interesse für nachbarschaftliche
Beziehungen, Entprivatisierung der Lebensbezüge, größere unmittelbare ,
sozialbezogene Beweglichkeit, statt individuiertes Leitungsstreben - das könnten
Eigenschaften sein, die „kreativ“ zunennen wären.
Eine Verfolgung solcher Überlegung hätte zum Vorteil, das das Konzept
Kreativität von den Standards, die sich an die Mittelschicht orientieren, gelöst
würde und selbst alternative Interpretationsmöglichkeiten aufdeckte. Erst dann
wäre das Konzept kreativ.
Tatsächlich gibt es Versuche, Kreativität nicht nur meßanalytisch
einzusetzten, sondern auch kreativ entwerfend. Oskar Negt und Alexander Kluge (Negt,
Kluge In.:D.Baacke, Weinheim-Basel,1994 S.129) sprechen nicht von Kreativität,
sondern von Phantasietätigkeit. „Phantasie“ unterscheidet sich von Kreativität
vor allem darin, daß sie nicht meßbar ist , weil eine Produktivkraft gemeint
ist, die grundsätzlich jedem eigen ist. Sie hat die Aufgabe, die Entfremdung und
Vereinzelung, die Außenlenkung durch Programmindustrien und die Ritualisierung
eines glücklosen Alltages als eine emanzipatorische Bewußtseinsform durch
Entwicklung alternativer Vorstellungsbilder zu widerrufen.
Wenn dem so ist, das der Alltag der meisten Menschen aus beschädigten
Situationen bestünde, also solchen die keinen Selbstausdruck ohne Verstellung
erlauben und der Lebenszusammenhalt jedes einzelnen „zerstückelt“ wäre, hätte
das zur Folge , das Phantasie oft als „ Wirrwarr“ erscheint, als eine Kraft, die
die verzerrte Gegenständlichkeit der Realität mitreproduziert, statt sie zu
kritisieren.
Dennoch ist es aber auch denkbar, das Phantasie widerständige Kraft entwickeln
könnte, wenn sie sich auf eine konkrete Situation bezieht. In Wahrheit ist die
Phantasie ein spezifisches Produktionsmittel, das für einen Arbeitsgang
gebraucht wird, den das kapitalistische Verwertungsinteresse nicht ins Auge
fast, nämlich die Veränderung der Beziehungen untereinander , zur Natur und die
Wiederaneignung der in der Geschichte eingebundenen „toten“ Arbeit des Menschen.
Die Phantasie, so könnte man sagen ist der Organisator der Vermittlung, also der
besondere Arbeitsprozeß, über der sich Triebstruktur, Bewußtsein und Außenwelt
mit einander verbinden lassen.
Es gibt jedoch noch keine Pläne, wie Phantasietätigkeit zu fördern sei. Ein
Programm hierzu leuchtet unmittelbar ein.
Gerade für Jugendliche, die die Fähigkeit zur Abstraktion erwerben, ist eine
ergänzende und kontrollierende Rückbindung an nicht nur gedachte Kontexte und
Lebensformen sinnvoll.
Jugendliche haben am ehesten die Chance, ihre Argumentationsgerüste mit sozialer
Phantasie auszukleiden, denn sie sind nicht der total nüchternen,
zweckrationalen Wahrnehmung sozialer Rollen unterworfen.
Jugend ist insgesamt ein Status der für Abweichungen offen ist. Ob diese
(Abweichungen) zur Bedrohung wird, hängt davon ab, wie sie gesellschaftlich
definiert werden und von der Chance wie im Rahmen vertrauensvoller Beziehungen,
Angst abgebaut werden kann.
Deshalb kann es nicht allein darum gehen, Trainingsprogramme für Kreativität
oder Intelligenz zu entwickeln, sondern auch die Interaktionstile der
Erwachsenen (sowie Pädagogen) und der Jugendlichen insofern zu verbessern, daß
es zu einer gegenseitigen Akzeptanz und einem Ernstnehmen der individuellen
Besonderheit kommt.(Vergl.: D.Baacke; Die 13 -18 jährigen, Weinheim- Basel,1994,
S.116 ff.)
In wieweit diese Arbeit in den außerschulischen Einrichtungen der Jugendarbeit
geleistet werden kann und welche Bedingungen dafür nötig sind, soll an zwei
Einrichtungen in der Stadt Chemnitz gezeigt werden.
Um dem Aspekt der außerschulischen kunstpädagogischen Anregungen nachzugehen zu können, habe ich zwei Jugendfreizeitstätten in Chemnitz besucht und mit den Mitarbeiterinnen und zum Teil mit den Jugendlichen gesprochen. Die konkreten Situationen werden im Anhang mit einem entsprechenden Gespräch und Fotoaufnahmen dokumentiert.
Jugendfreizeitstätte : Haus der Jugend:
Der Träger der Einrichtung „ Haus der Jugend“ ist die Stadt Chemnitz.
Dieses Jugendhaus befindet sich auf den Chemnitzer Kaßberg einen attraktiven
Stadtteil mit einer guten Infrastruktur, Schulen, Gymnasien, Kirchen und
verschiedenen Gemeinden und großzügig angelegten Spiel- und Bolzplätzen. In der
Einrichtung arbeiten 2 Sozialarbeiterinnen. Geöffnet ist Montag bis Samstag,
jeweils von 12 - 24 Uhr. Als ständige Besucher werden 250 Kinder und Jugendliche
im Alter von 12 bis 24 Jahre gezählt. Sie kommen zumeist aus der mittleren
Einkommensschicht und aus Multiproblemfamilien. Keramik ist zur Zeit das einzige
kreative Angebot in der Einrichtung. Aus dem Gespräch mit einer Sozialpädagogin
ließ sich entnehmen, daß dem kreativen Arbeiten mit den Jugendlichen großen Wert
beigemessen wird. Sie selbst hatte auf Grund von bildnerischen Arbeiten mit den
Jugendlichen in der Einrichtung eine Zusatzqualifikation zur Kunsttherapie
abgeschlossen. Obwohl die Einrichtung und Ausstattung dieser
Jugendfreizeitstätte gut geeignet ist, kreative Arbeiten zu fördern, fehlt
aufgrund der knappen Besetzung zur Durchführung einer kontinuierlichen Arbeit
die entsprechende Zeit.
Jugendfreizeitstätte „Substanz“„
Der Träger dieser Einrichtung ist das „Selbsthilfe-Wohnprojekt-
Furtherstraße“. Die Einrichtung befindet sich am Rande des Chemnitzer Stadtteils
Sonnenberg in der Heinrich - Schütz - Straße . Dies ist ein Wohngebiet, das
traditionell von Arbeiterfamilien und neuerdings auch von Studenten bewohnt ist.
Als „Feststellen“ arbeiten in diesem Jugendhaus „1 ½“ Mitarbeiter
(Sozialpädagogen) darüber hinaus gibt es zwei ABM - Stellen und zwei
ehrenamtliche Mitarbeiter.
Der Kreativraum des Hauses hat Dienstags und Mittwochs von 14.00 Uhr bis 20.00
Uhr geöffnet. Auf dem Gelände des Jugendhauses ist ein großer
Abenteuerspielplatz mit einem Bauwagen und jede Menge Holz zum bauen. Für diesen
Teil der pädagogischen Arbeit ist ein Mitarbeiter zuständig.
Das kreative Angebot wird von 15 Jugendlichen unregelmäßig genutzt. Der Raum,
selbst ist gut ausgestattet, die vorwiegende Angebote sind hier: Malen,
Zeichnen, Arbeit mit Ton, Seidemalerei, Batik und Arbeiten mit Holzmaterialien.
Die Jugendlichen von 13 bis 21 Jahren kommen aus unterschiedlichen Schichten
sowie aus Multiproblemfamilien. Die vorwiegend jungen MitarbeiterInnen vertreten
ein sehr offenes Konzept in der Arbeit mit den Jugendlichen, sie sollen sich
wohl fühlen und es gibt in der kreativen Arbeit keine Vorgaben.
An einem Nachmittag arbeitete ich mit den einigen Jugendlichen mit einem
einfachen Druckverfahren. Dabei zeigten sie sich neugierig und aktiv. Das
Verhältnis zu den MitarbeiterInnen war locker und von gegenseitiger
Wertschätzung geprägt.